Können Ärzte sozialversicherungsfrei in der Praxis eines anderen Arztes mitarbeiten?

Können Ärzte sozialversicherungsfrei in der Praxis eines anderen Arztes mitarbeiten?

Eine Ärztin betrieb eine Privatpraxis für Augenheilkunde. Eine andere Fachärztin für Augenheilkunde übernahm an ein bis zwei Tagen in der Woche Sprechstunden im Umfang von jeweils etwa fünf Stunden. Grundlage war ein Vertrag, wonach die Praxisinhaberin der Fachärztin die personelle, räumliche und sachliche Infrastruktur einer augenärztlichen Praxis zur Verfügung stellte. Die Fachärztin verpflichtete sich zu einem einheitlichen Auftreten nach außen unter Verwendung der von der Praxisinhaberin entwickelten Formulare. Unter Verwendung des Formulars „Behandlungsauftrag“ schloss sie Behandlungsverträge mit den Patienten ab und wirkte auf deren Einverständnis mit der Abrechnung durch die Praxisinhaberin hin. Die Fachärztin behandelte Patienten, die sie zur Erbringung von Privatleistungen in die Praxisräume der Praxisinhaberin bestellt hatte. Die Praxisinhaberin wies ihr im Rahmen freier Kapazitäten weitere Patienten zu. Die Praxisinhaberin zog die Honorarforderungen ein und zahlte von den tatsächlich eingezogenen Beträgen 35 % an die Fachärztin aus. Die Fachärztin meldete ihre Anwesenheitszeiten bei der Praxisinhaberin an und war nach Vereinbarung einer Sprechstunde zur Anwesenheit in den Praxisräumen verpflichtet. Die Auswahl unter mehreren gleichzeitig arbeitsbereiten Ärzten oblag der Praxisinhaberin. Die Fachärztin musste ihre Verhinderung anmelden, damit das Sprechstundenpersonal den Patienten absagen konnte. Die Fachärztin nutzte die in der Praxis vorhandenen Geräte und wurde vom Sprechstundenpersonal der Praxisinhaberin unterstützt.

Die Fachärztin trug zwar ein Verlustrisiko, da ihre Einnahmen von den Honorarzahlungen der behandelten Patienten abhingen. Mit der Abtretung von 65 % der eingenommenen Honorare an die Praxisinhaberin zahlte sie für die Nutzung der in deren Praxis vorgehaltenen Infrastruktur. Ein Nutzungsentgelt war damit aber nur für den Fall geschuldet, dass tatsächlich Einnahmen erzielt wurden. Das typische Unternehmerrisiko, dass Kosten auch dann anfallen, wenn keine oder nur unzureichende Einnahmen erzielt werden, trug die Fachärztin damit nicht. Ihre Einkommenssituation einschließlich der Gewinnchancen und -risiken ist daher eher mit der von abhängig Beschäftigten, deren Entgelt sich nach Erfolgsanteilen bemisst, als mit der von typischen Selbständigen vergleichbar. Im Gegensatz zu den Abrechnungsstellen niedergelassener Ärzte trägt die Praxisinhaberin 65 % und damit im Vergleich zur Fachärztin den größeren Teil des Ausfallrisikos.

Auch die Fachärztin war in die betrieblichen Abläufe der Praxisinhaberin eingebunden. Sie war auf die Nutzung der vorhandenen räumlichen, personellen und sächlichen Infrastruktur angewiesen, ohne über deren Auswahl, Kosten, Unterhalt und Qualifikation mitbestimmen zu können. Die Fachärztin arbeitete arbeitsteilig mit dem Praxispersonal zusammen, konnte diesem nur fachliche Weisungen erteilen und hatte keine Arbeitgeberfunktion. Sie war an die von der Praxisinhaberin vorgegebenen Praxisöffnungszeiten gebunden. Praxisinhaberin und Fachärztin traten auch nach außen hin gegenüber allen Patienten einheitlich auf, indem von der Praxisinhaberin entwickelte Formulare verwendet wurden. Das gesamte Patientenmanagement wurde von der Praxisinhaberin durchgeführt, die Fachärztin selbst hat keine Termine vergeben oder abgesagt. Auch das Qualitätsmanagement erfolgte durch die Praxisinhaberin und unterlag nur deren Vorgaben.

Hinweis Reißig:

Das gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für andere Heilberufe wie z.B. Physiotherapeuten. Aber auch für Rechtsanwälte, Architekten und künstlerische Berufe.

Solche Konstruktionen müssen sozialversicherungsrechtlich sauber geregelt sein.

Die Betriebsprüfer nehmen solche Beschäftigungsverhältnisse sehr genau unter die Lupe. Es kann zu hohen Beitragsnachforderungen für den Praxis- oder Kanzleiinhaber kommen, wenn die Sozialversicherungspflicht festgestellt wird.

Wir können schon bei der Vertragsgestaltung helfen. Aber auch dann, wenn der Betriebsprüfer bereits eine Anhörung geschickt hat.

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