Zum Schmunzeln – mit ernsten Hintergrund: Berufsgenossenschaft muss Sexworkerin bezahlen.

Zum Schmunzeln – mit ernsten Hintergrund: Berufsgenossenschaft muss Sexworkerin bezahlen.

Das Sozialgericht Hannover hat eine Berufsgenossenschaft verurteilt, im Rahme der Folgen eines schweren Arbeitsunfalls die Kosten für Sexualassistenz bzw. Sozialbegleitung zugunsten eines Menschen mit Behinderung im Rahmen eines persönlichen Budgets zu übernehmen.

Beantragt wurde die Kostenübernahme von monatlich vier Besuchen einer Sexualbegleiterin aus einem aus entsprechend zertifizierten Personen bestehenden Netzwerk, weil er als junger und vitaler Mann psychisch darunter leide, seine Sexualität nicht ausleben zu können.

Denn es gehe nicht nur darum, die gesundheitliche und berufliche Wiedereingliederung zu bewirken, sondern auch die Eingliederung in die Gesamtheit zwischenmenschlicher Ordnungen und Beziehungen zu erreichen. Und so würden alle diejenigen Leistungen erbracht, um Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern. Leistungsrechtlich müssen die Maßnahmen ihren Schwerpunkt in der Verbesserung der Lebensqualität und in der Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse haben. Da der Kläger durch die Verletzungen des Arbeitsunfalls bedingt nicht in der Lage sei, eine partnerschaftliche Beziehung zu einer Frau aufzubauen und seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, weise die aktive Sexualbegleitung einen solchen Schwerpunkt auf.

Nach Ansicht des Sozialgerichts sei die Sexualassistenz nicht nur geeignet, sondern im konkreten Fall auch erforderlich, um die gesellschaftliche Integration zu ermöglichen.

Auch wenn dieses Urteil im Bereich der Unfallversicherung ergangen ist, ist sie auf alle Bereiche der Rehabilitation und Teilhabe zu übertragen, soweit es um die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (Leistungen der sozialen Teilhabe) geht.

Es kommen aber nicht nur vom Grundsatz her Leistungen aller Leistungsgruppen als budgetfähig Leistungen in Betracht, sondern auch (sonstige) Leistungen der Krankenkassen und Pflegekassen, Leistungen der Unfallversicherung bei Pflegebedürftigkeit sowie Leistungen zur Pflege, die durch den Sozialhilfeträger erbracht werden. Dies gilt auch für Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Sexualbegleitung oder -assistenz.

SG Hannover, Urteil vom 11.07.2022, S 58 U 134/18; JurisPR-SozR 22/2022. Die Entscheidung des SG Hannover ist noch nicht rechtskräftig. Es wurde Berufung eingelegt.

Hinweis Reißig:

Bei Ablehung von Leistungen zur Teilhabe im Rahmen des persönlichen Budgets sollte genau geprüft werden, ob dies den gesetzlichen Vorgaben entspricht.

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